#2Homestory

Letter 34

Typografie in euren vier Wänden

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#2Homestory

»Eigentlich lebe ich jetzt gern im Wald, und es wird mir sehr schwerfallen, ihn zu verlassen. Aber ich werde zurückkommen, wenn ich dort drüben jenseits der Wand am Leben bleiben werde.«
(Marlen Haushofer, Die Wand, 1968)

Fünf Wochen liegt der vorübergehende Umzug vom Coworkingspace ins Homeoffice nun zurück. Viele typografische Funde haben sich seit dem letzten Letter nicht aufgetan, dafür geht das Zeitgefühl ein bisschen flöten, weil sich alle Tage langsam gleich anfühlen.
Arbeit gibt es glücklicherweise immer noch, wenn auch deutlich weniger als zu Beginn. So sieht mein Schreibtisch zu Hause aus:

Doch jetzt zum Thema:
Es gibt so viele Zusendungen mit Typofotos aus euren Quarantäneresidenzen, dass ich gar nicht alle berücksichtigen kann. Dafür bitte ich um Verständnis.
 Vielfalt und Kreativität der typografischen Objekte sind sehr erfrischend, und es freut mich, hier eure Arbeiten zeigen zu dürfen.
Vielen Dank allen, die mitgemacht haben!
Die Urheberrechte liegen bei den genannten Einsenderinnen und Einsendern.

Berlin ist eine Reise wert! Reporterin (und freie Mitarbeiterin bei architectural tours vienna) Claudia Rinne zeigt als von dort stammende Wahlwienerin ein bisschen Lokalkolorit und ein edel patiniertes Leatherman-Etui mit Blech- und Lederprägung.
Der Ausschnitt eines Hendrix-Plattencovers ist ein Fenster in die Welt der 1970er-Jahre: So sieht die typografisch korrekte Umsetzung von Glockenhosen aus.

Eine Neuinterpretation der Olympischen Ringe liefert Sportsfreund und Architekt Roman Simlinger just an dem Tag, als das IOC die Verschiebung der Spiele auf 2021 bekanntgibt. Trotz dieser für viele Menschen traurigen Nachricht lässt er sich die liebevoll zum Logo der Olympischen Spiele gelegten Ravioli hoffentlich schmecken.
rsi-bpc.at

Ein weiterer Beitrag aus der Bauwirtschaft: Elmar Hagmann, Manager bei Sedlak, hat trotz Krise viel zu tun und ist typografisch in erster Linie mit seinem Firmenschriftzug konfrontiert, sowohl im Homeoffice als auch im Außendienst. Mein Schriftzug bringt manchmal ein bisschen Abwechslung in den graublauen Technikeralltag, wie in diesem Dokumentarfoto dezent angedeutet.
www.sedlak.co.at

Kongressveranstalterin Franzi Beckmann kann sich in ihrer raren Freizeit aussuchen, ob sie Musik klassisch hinter dem gravierten Luxor-Schriftzug oder dynamisch-progressiv gefräst in Bose-Technologie erklingen lässt. Müsste ich die Entscheidung typografisch begründen, würde ich Luxor wählen, denn das versale L in serifenlosem Swash-Style ist eine echte Besonderheit.

People-Fotografin Marisa Vranješ liebt Musik ebenfalls und gewährt Einblick in ihre Plattensammlung. Der Name Jugoton ist nicht nur sehr apart gestaltet (dieses J! dieses n!), sondern weckt hochnostalgische Erinnerungen an Zeiten von Vinyl und Realsozialismus. (Wann kam euch zum letzten Mal das Wort »Langspielplatte« über die Lippen?) Ein weiterer analoger Schatz ist ihre Hasselblad, mit der auch ich einmal fotografiert wurde. Die Beschriftung der Kamera ist ausgesprochen flott und spiegelt wider, dass Fotografie trotz unbewegter Bilder ein äußerst dynamischer Vorgang ist.
Und dieses Anker-Nähkästchen, dafür würde ich Gesetze brechen.
marisavranjes.com

Ein schon berufsbedingt ausgeprägtes Bewusstsein um den visuellen Wert von Alltagsgegenständen und Haushaltstypografie demonstriert die bildende Künstlerin Maria Temnitschka. Sie fängt ihre Objekte nicht nur fotografisch ein, sondern macht sie obendrein in Öl auf Leinwand fit für die Ewigkeit.
www.temnitschka.at

Beschriftungen finden sich also in der kleinsten Hütte, und ich danke noch einmal herzlich allen Einsenderinnen und Einsendern dafür, dass sie sich auch in ihren vier Wänden auf die Suche nach Typografie gemacht haben. 
Ich bin zuversichtlich, dass der Ausnahmezustand bald zu einem Ende kommen wird, und freue mich auf viele physische Zusammenkünfte ohne Sicherheitsabstand und Maske!

Als Postscriptum zum bislang einzigen typic.at.letter, dessen Fotos nicht von mir stammen, zeige ich mich erstmals selbst: beim Fotografieren von Schrift, wo keine ist. (© 2018 Karsten Dönneweg)

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